Am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr kollidierte die Titanic auf ihrer Jungfernfahrt, 300 Seemeilen südöstlich von Neufundland mit einem Eisberg und sank zwei Stunden und 40 Minuten später Richtung Meeresgrund. Obwohl für die Evakuierung mehr als zwei Stunden Zeit zur Verfügung standen, kamen 1514 der über 2200 an Bord befindlichen Menschen ums Leben. Hauptursache für diese Tragödie war die unzureichende Zahl an Rettungsbooten. Wie sich der Kampf, um einen der wenigen Plätze in den zur Verfügung stehenden Rettungsbooten abgespielt haben muss, können wir uns ungefähr vorstellen, wenn wir uns den Kampf um eine systemrelevante Bedeutung im sinkenden Wirtschaftsschiff in stürmischer “Corona-See” verfolgen.

Ist Katja Riemann systemrelevant?

Die Schauspielerin Katja Riemann betont ihre Systemrelevanz und auch ein bisschen, die ihrer SchauspielkollegInnen. Die Künstler verrichten derzeit Schwerstarbeit, indem sie im Netz die Menschen seelisch-moralich aufbauen und unterhalten. Auch die Vereine der Fußballbundesliga sind im Kampf um Systemrelevanz und die damit erhofften Steuermilliarden vom Staat ganz vorne dabei. Vereine, die noch vor wenigen Wochen im modernen Menschenhandel beim Spielerkauf mit unglaublichen Millionenbeträgen um sich warfen, stehen nun nach ein paar Wochen Luxus-Krise vorm Untergang. Selbstredend hält sich die schreibende Zunft für extrem systemrelevant und überforderte Mütter, bei denen nach vier Wochen Intensivkontakt zum eigenen Nachwuchs die Nerven blank liegen, sind ganz eindeutig die Systemrelevanz in Persona. Oder haben wir beim Gerangel um die Pole Position im Rennen um die absolute Systemrelevanz, den mit Abstand wichtigsten Anwärter übersehen? Wer hält die Räder der Wirtschaft am rotieren? Wer ist wirklich in der Lage und hat die Kraft uns aus der Krise in eine strahlende Zukunft zu führen?

Es ist der Konsumidiot. 100 % systemrelevant.

Diesen gibt es in Deutschland in zwei Gattungen. Der gemeine Konsumidiot konsumiert skrupellos. Der Raubbau an Mensch, Tier und Umwelt sind ihm völlig egal. In seiner Welt zählen nur Schnäppchen. Wer, wo und wann den Preis für diesen Irrsinn zahlt, tangiert ihn nicht. Als Gegenentwurf wurde der Edel-Konsumidiot gezüchtet und konditioniert. Eine Art Triple-A-Bio-Konsumidiot. Der gemeine Konsumidiot begnügt sich mit Konsum des Konsums wegen. Der Triple-A-Bio-Konsumidiot konsumiert eine Meta-Ebene höher, denn er leistet sich für gutes Geld Bio-Avocados aus Chile und hippen, veganen Fleischersatz aus Kalifornien. So kann er naserümpfend den gemeinen Konsumidioten aus intellektueller Pose heraus, zutiefst verachten.

Unser Konsumwahn

Im Jahr 2019 betrugen die privaten Konsumausgaben in Deutschland rund 1,79 Billionen Euro, davon waren ca. 1,74 Billionen den privaten Haushalten zuzuordnen. 2018 stiegen die Gesamtausgaben der Deutschen für Urlaubs- und Privatreisen um fünf Prozent auf 67,9 Milliarden Euro. Was für ein gigantischer Eisberg aus Geld. Die erhöhte Ausgabebereitschaft lässt sich auch deutlich am Wachstum des Bio-Markts ablesen. Allein 2018 wuchs dieser um mehr als fünf Prozent. Müslis, Brotaufstriche, Säfte, aber auch Biofleisch sind besonders gefragt, Die Edel-Konsumidioten investierten allein in 2019 satte 10,9 Milliarden Euro in Bio-Ware und somit in ihr grün gewaschenes Gewissen. Wer soviel für sein Öko-Gewissen getan hat, kann sich auch mal eine kleine Sünde gestatten.

So boomt der Verkauf teurer Spritschlucker.

Schwere Geländewagen für den normalen Stadtverkehr. Erstmals wurden 2019 mehr als eine Million SUVs und Geländewagen neu zugelassen. Ihr Marktanteil liegt mittlerweile bei über 30 Prozent.

Der größte Posten in den monatlichen Ausgaben der Menschen in Deutschland, sind die Kosten für das Wohnen. Da die Mieten offensichtlich noch nicht hoch genug sind, stieg die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf von 1972 Jahr bis 2019 von 26,4 auf 46,7 Quadratmeter. Was für ein gigantischer Flächenverschleiß. Demnach beansprucht statistisch eine vierköpfige Familie eine Wohnfläche von 186,80 Quadratmetern. Diese fast 200 Quadratmeter dürfen sich aber nicht dort befinden, wo Wohnen noch einigermaßen günstig ist. Ein echter Konsumidiot bevorzugt selbstverständlich die teuersten und begehrtesten Wohnlagen. Man gönnt sich ja sonst nix. Außerdem lässt sich mit Blick vom Taunus oder vom Prenzlauer Berg das wichtigste Feinstaub-Spektakel des Jahres an Silvester viel gediegener genießen.

Geld verbrennen ist geil

Nach Schätzungen des Verbands der pyrotechnischen Industrie haben die Bundesbürger Silvester 2019 rund 133 Millionen Euro für Böller und Raketen ausgeben. Die Auswüchse unseres “Konsumismus” ließen sich schier endlos fortführen. Aber der Wohlstandsgermane wäre nicht der Wohlstandsgermane, wenn er sich nicht auch ganz schlimme Sorgen um seine Zukunft machen würde. Stets nach dem Motto: Klagen ohne zu leiden! So gibt jeder zweite Deutsche an, große Angst vor Altersarmut zu haben. Laut einer repräsentativen Umfrage der Beratungsgesellschaft EY treibt 56 Prozent der Menschen diese Furcht um. Demnach ist die Rente aus Sicht vieler Wohlstasndsgermanen keineswegs mehr sicher. Und schon stehen sämtliche Wohltäter von links und rechts, von Verbänden und Gewerkschaften zur Stelle. Sie fordern Strategien und nicht zuletzt Steuergeld gegen Altersarmut. Doch sind Konsumidioten überhaupt zu retten? Beide Gruppen sind sich bei aller “Konsumuneinigkeit” in folgenden Punkten sehr einig:

  • 1. Der Staat muss für seine Bürger vorsorgen
  • 2. Selbst fürs Alter vorzusorgen bedeutet Konsumverzicht
  • 3. Konsumverzicht ist eine undemokratische Einschränkung bürgerlicher Lebensqualität
  • 4. Banken, Versicherungen & Co sind Verbrecher
  • 5. Sparen ist bei den heutigen Lebenshaltungskosten unmöglich und unmenschlich
  • 6. Rücklagenbildung ist etwas für neoliberale Kapitalisten

Ist der Zahnarzt systemrelevant?

So gehen 88 Prozent der Wohlstandsgermanen regelmäßig, also mindestens einmal im Jahr zum Zahnarzt. Doch nur 11 Prozent vereinbaren einen Termin zur Finanzberatung. Wo am Ende des Gehaltes immer noch Monat übrig ist, machen solche Termine ja auch wirklich keinen Spaß. Dieses Problem jedoch selbst in den Griff zu bekommen ist keine Option. Der Staat soll das lösen. Angeblich enteignet die böse EZB mit ihrer Nullzinspolitik und die Banken mit Negativzinsen den gebeutelten deutschen Sparer. Der deutsche Profisparer hat immerhin 1,8 Billionen Euro auf seinem geliebten Sparbuch verlustbringend angelegt. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der Fondsgesellschaft Union Investment gaben knapp drei Viertel (74 Prozent) der Befragten an, dass sie am Sparbuch festhalten. Dass das Sparbuch ein Wertevernichter erster Klasse ist, stört dabei nicht. Immerhin ist 56 Prozent der Wohlstandsgermanen bekannt, dass es Anlagemöglichkeiten gibt, die im Zinstief höhere Renditen versprechen. Allerdings glaubt mehr als jeder Zweite zugleich, das Zinstief per Sparbuch aussitzen zu können.

Rettung naht

Doch in der dunkelsten Stunde erscheint ein Silberstrahl am Horizont. Ein Ritter der Gerechtigkeit. Der Retter der Enterbten. Es ist kein Geringerer als Tony Hofreiter, der endlich das ersehnte Helikoptergeld in Form von Einkaufsgutscheinen vom Himmel regnen lässt. Was für ein grandioser Schachzug der grünsten Kapitalisten, die es je gab. Die Kalkulation ist so einfach wie genial. Gib einem Konsumidioten einen Euro und er hat in diesem Moment schon drei ausgegeben. Gib ihm einen Einkaufsgutschein im Wert von 250,- Euro und er macht dich reich. So bekommen wir nach dem Shutdown unsere deutsche Wirtschaft im Schweinsgalopp wieder auf Hochtouren. Der DAX wird ruckzuck die 14.000 Punkte-Marke knacken und die Dividenden werden wieder üppig sprudeln. Die Immobilienpreise werden ihren Höhenflug ungebremst fortsetzen und unsere Automobilindustrie jubilierend Arbeitskräfte einstellen. Vergesst die Systemrelevanz von ÄrztInnen, Pflegern, Krankenschwestern, Rettungssanitätern & Co.!

Allein der Konsumidiot ist systemrelevant.

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